Die Anforderungen an altersgerechte Wohnbauten sind teilweise höher als beim anpassbaren Wohnungsbau und als von der Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten» vorgeschrieben.
Diese erhöhten Anforderungen sind bei all jenen Wohnbauten von Anfang an umzusetzen, bei denen damit gerechnet wird, dass sie hauptsächlich von älteren Menschen bewohnt werden. Dies gilt für alle Projekte, bei denen Alterswohnungen oder generationenübergreifende Wohnformen geplant sind. Ziel ist die möglichst lange und grösstmögliche Selbständigkeit und Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner, die in oft unterschätztem Ausmass von den baulichen Gegebenheiten abhängig sind.
Unterschied:
Anpassbarer vs. altersgerechter Wohnungsbau
Das Konzept des hindernisfreien und anpassbaren Wohnungsbaus ist zweistufig. Grundlegendes Ziel ist, dass möglichst flächendeckend und weitgehend kostenneutral Wohnbauten nach einem minimalen Standard ohne unnötige Hindernisse (Stufen, enge Durchgänge und Bewegungsräume u.a.) erstellt werden. Zweitens sollen massgebende Bereiche so gestaltet werden, dass sie bei Bedarf ohne grösseren Aufwand an die individuellen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner angepasst werden können.
Hinter dem Konzept des anpassbaren Wohnungsbaus steht die Überzeugung, dass das Vermeiden von baulichen Hindernissen den Komfort und die Sicherheit aller verbessert (Stichworte: Unfallsicherheit, Zugang mit Kinderwagen oder Einkaufscaddy, Gipsbein, Umzug).
Alle und damit auch ältere Menschen sollen ihren Wohnort möglichst frei wählen können bzw. auch beim Eintreten von Beschwerden nicht ausschliesslich aus baulichen Gründen gezwungen werden, umzuziehen.
Dieses Ziel gilt es aus verschiedenen Gründen anzustreben:
Psychologische Gründe | Selbstbestimmung bei der Alltagsgestaltung und der Wohnungswahl |
Soziologische Gründe | Generationendurchmischung, freie Besuchsmöglichkeit |
Wohnungspolitische Gründe | bessere Verfügbarkeit passender Wohnungen bei Wohnungsmangel |
Privatwirtschaftliche Gründe | umfassendes Spektrum möglicher Mieter oder Käufer für das Wohn- haus; Flexibilität für zukünftige Nachfrageentwicklungen |
Volkswirtschaftliche Gründe | Unfallverhütung, verzögerter/verminderter Pflegebedarf |
Planungshilfe für das altersgerechte Bauen
- Menschen mit Demenz haben einen hohen Bewegungsdrang und halten sich tagsüber selten in ihren Zimmern auf. Daher sollten die Bewegungsbereiche im Rundlaufprinzip angeordnet sein und sich am Tageslicht befinden mit Blick nach draussen (alternativ Hof), um am Leben noch teil zu haben. Ansonsten laufen Demenzkranke ziel- und endlos in Fluren herum.
- Generell gilt: Die Sehfähigkeit lässt nach, die Wahrnehmung von Kontrasten sinkt und das Bedürfnis nach mehr Licht steigt, die Blendempfindlichkeit nimmt auch zu.
- Gehe von einem Bewohner aus mit einem Bedürfnis von Privatheit und nicht von einem Patienten in einem Spital mit Autonomieverlust.
- Signaletik: Beschriftungen müssen kontrastreich und ausreichend gross sein.
- Verwende Farben als Informationsträger und Orientierungshilfe. Ein klar wahrnehmbares Farbsystem entsteht z.B. durch farblich unterschiedlich gestaltete Geschosse. Manche Farben, vor allem Blau und Lila können nicht mehr gut unterschieden werden.
- Kontraste im Raum helfen bei der Orientierung, Einschätzung von Distanzen und Erkennbarkeit von Gefahrenstellen.
- Kleiderschränke können nach Absprache in der Tiefe von 60cm auf ca. 40cm reduziert werden. Trotz Platzeinsparung ist der Platz für einen gefalteten Pullover gegeben und ein Mantel kann an einer quer ausziehbaren Stange aufgehängt werden.
- Bad: Unterscheide Boden und Wandfarbe durch unterschiedliche Helligkeiten und Farben.
- Türen: Unterscheide zwischen der Benutzung durch die Bewohner und durch das Personal. Für die Bewohner geeignet sind Türen, die von der Wand kontrastreich abgehoben werden, um die selbstständige Orientierung zu erleichtern. Die Personal-Türen können auch neutral gestaltet sein.
- Schaffe Rückzugsorte in Form von Nischen in Aufenthaltsbereiche, so dass die Bewohner teilhaben können am Geschehen ohne „mittendrin“ sein zu müssen.
- Flure ausbilden als lebhaft genutzte und abwechslungsreiche Orte mit Begegnungsqualität.
- Treppenhaus: Die Anordnung im Grundriss nicht versteckt wählen und auch nicht nur als Flucht-Treppenhaus andenken. Besser einladend gestalten mit einer ausreichenden Beleuchtung und Handlauf, der zum Abstützen geeignet ist; von der ersten bis zur letzten Stufe durchgehend. Die Stufen-Vorderkanten sind zugunsten einer bessere Sichtbarkeit kontrastreich zu wählen.
- Spiegelnde Oberflächen an Türen, Böden, Decken und in der Liftkabine sind zu vermeiden. Demente Personen bekommen Angst-Zustände davon!
- Leuchten: Vermeide einzelne blendende Lampen entlang der Wände. Für Sehbehinderte ist es vorteilhafter, wenn diese so platziert werden, dass sie sich entlang deren Ausrichtung orientieren können.
Gesetze/Norm/Richtlinien
Weil der Gesetzgeber die einleitend aufgeführten Argumente erkannt hat, enthalten sowohl das Bundesgesetz wie die kantonalen Baugesetze Bestimmungen, welche die Umstände definieren, unter denen Bauherren verpflichtet sind, die Bedürfnisse älterer und behinderter Menschen in angemes-senem Masse bei der Planung zu berücksichtigen.
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) verlangt auf Basis des Diskriminierungsverbotes (Art. 8, Bundesverfassung) unter anderem, dass bei Wohngebäuden mit mehr als 8 Wohnungen sämtliche Wohnungen hindernisfrei erschlossen sein müssen. Beim Umbau von bestehenden Wohnbauten können im Rahmen einer definierten Verhältnismässigkeit Anpassungen zur hindernisfreien Erschliessung der Wohnungen verlangt werden.
Die meisten kantonalen Baugesetze enthalten weitergehende Bestimmungen, zum Beispiel über die Anzahl hindernisfrei zu erschliessenden Wohnungen oder die Gestaltung des Wohnungsinnern. Die im Einzelfall gesetzlich vorgeschriebenen Minimalanforderungen können bei den zuständigen Bauämtern oder den kantonalen Beratungsstellen für hindernisfreies Bauen (Adressen unter www.hindernisfrei-bauen.ch) erfragt werden.
Die Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten» definiert, welche baulichen Massnahmen getroffen werden müssen, wenn Bund, Kantone, Gemeinden oder die Bauherrschaft hindernisfreies oder behindertengerechtes Bauen vorschreiben (Kapitel «Bauten mit Wohnungen»). Die Norm kann beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (www.sia.ch) bezogen werden.
Die Broschüre «Wohnungsbau hindernisfrei – anpassbar» ist Massgabe für den hindernisfreien und anpassbaren Wohnungsbau. Sie kann kostenlos bei der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen (www.hindernisfrei-bauen.ch) bezogen werden. Sie ist umzusetzen, wenn das Gesetz es vorschreibt oder der Bauherr es verlangt.
Die Planungsrichtlinien «Behindertengerechte Fusswegnetze» (Strassen –Wege – Plätze) legen die Regeln und Anforderungen fest, die bei Strassen, Wegen und Plätzen zu beachten sind, damit ausgrenzende Barrieren, einschränkende Hindernisse, Unfälle und Konflikte im Verkehr vermieden werden können. Dies unter Berücksichtigung von Menschen, die in ihrer Mobilität, Bewegungsfähigkeit oder Seh- und Hörfähigkeit zeitweise oder dauernd eingeschränkt sind.
Das Merkblatt «Gestaltung von altersgerechten Wohnbauten» des Bundesamts für Wohnungswesen BWO (www.bwo.admin.ch) wurde gemeinsam vom BWO, procap und der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen erarbeitet. Die Umsetzung des Merkblattes ist für die Gewährung von Fördergeldern gemäss dem Wohnraumförderungsgesetz des Bundes WFG verbindlich.
Die Richtlinien SLG 104:213-2014 d «Alters- und sehbehindertengerechte Beleuchtung im Innenraum» der Schweizer Licht Gesellschaft SLG (www.slg.ch) fassen die wichtigsten Anforderungen älterer Menschen an Beleuchtung, Farben und Kontraste zusammen.
Der Leitfaden «Bewohnerorientierte Lichtgestaltung in Alters- und Pflegezentren und im betreuten Wohnen» der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen bietet in Ergänzung zu den Richtlinien der SLG einen gut verständlichen Überblick über die Themen Licht, Beleuchtung und Kontraste (ab Winter 2014).
Die Richtlinien «Hörbehindertengerechtes Bauen» der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen sollten konsultiert werden, wenn für schlechter hörende bzw. hörbehinderte Menschen Veranstaltungs- und Mehrzweckräume oder Schalter geplant werden.
Quelle: Altersgerechte Wohnbauten nach Felix Bohn
Download
PLANUNGSHILFE für Altersgerechtes Bauen (PDF, 372 KB)
PLANUNGSHILFE für Altersgerechtes Bauen (DOCX, 56 KB)
LEITFADEN: Altersgerechtes Wohnbauten nach Felix Bohn (PDF, 3 MB)
FACHDOKU: Bauliche Massnahmen zur Sturzprävention in Alters- und Pflegeinstitutionen (PDF, 3 MB)
CHECKLISTE: Bauliche Massnahmen zur Sturzprävention in Alters- und Pflegeinstitutionen (PDF, 217 KB)
Planungsrichtlinien Altersgerechte Wohnbauten, hindernisfreie Architektur (LINK)
Behindertengleichstellungsgesetz, BehiG (LINK)